Wien um 1900 war auch aus kunsthistorischer Sicht eine aufregende Zeit. Das Überwinden des Historismus und der Aufbruch in eine neue Zeit prägen alle Kunstsparten. Auch Bertold Löffler und Michael Powolny, zwei jungen Absolventen und spätere Professoren der Wiener Kunstgewerbeschule, wurden von dem neuen Geist mitgerissen; sie wagten den Sprung in die Selbständigkeit und gründeten die Manufaktur Wiener Keramik. Bald mussten sie erkennen, wie schwer es ist wirtschaftlich erfolgreich zu sein, gleichwohl sie mit der Wiener Werkstätte einen anerkannten und international agierenden Vertriebspartner hatten.

Die Wiener Keramik hat während ihres Bestehens von 1906 bis 1912 ungefähr 330 Modelle entworfen und wohl auch produziert. Moderne Marktanalysen gab es damals nicht, und so wurden Keramiken von unterschiedlichsten Formen und Stilen produziert, sicherlich auch um zu sehen, welche Modelle von den Käufern akzeptiert würden. Es wurden nicht nur einfache Gefäße in strengen Formen, sondern etwa auch weibliche Figuren in Biedermeierkleidern, die sogenannten Krinolinen, oder auch Putten in den unterschied-lichsten Zusammenhängen produziert. Vielfach zeigen die Modelle auch reichhaltigen Blumen- oder Früchteschmuck aus den unterschiedlichen Jahreszeiten und manchmal gelangen außergewöhnliche Modelle, die den Betrachter zu verzaubern vermögen, die ihn in eine andere Welt entführen.

Umso mehr man sich sowohl mit der Epoche Wien um 1900 als auch mit dem Werkstoff Keramik und den unterschiedlichen Werkstätten dieser Zeit in Wien, aber auch in Mitteleuropa beschäftigt, umso mehr erkennt man die außerordentliche Qualität der Modelle der Wiener Keramik. Neben aller Objektivität darf auch subjektiv gesagt werden, dass die Produkte der Wiener Keramik mit zum Besten an Keramik zählen, was in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa geschaffen wurde.

Zu Recht finden sich Werke von Bertold Löffler und Michael Powolny in allen bedeutenden Keramik- und Jugendstilsammlungen weltweit, in öffentlichen wie auch in privaten. Die Idee zu diesem Buch gab es schon viele Jahre. Es musste einiges an Literatur gesichtet werden, aber vor allem viele tausend Objekte betrachtet und auch gefühlt werden. Die Echtheit einer Keramik kann heute nämlich in aller Regel nicht an Hand von Fotografien oder aufgrund der Signaturen bzw Stempel beurteilt werden, sondern es bedarf eines Befühlens des Scherbens, sowohl hinsichtlich seiner Oberfläche wie vor allem auch des Gewichtes des Modells.

Unsere Leser bitten wir um Ergänzungs- und Verbesserungshinweise für eine spätere Auflage. Gerne können Sie sich auch bei weiteren Fragen an uns werden. Sie erreichen uns am besten unter aw@weilinger.com.